Eiszeit auf dem Hof!

Ute ist verzweifelt. Was soll sie noch machen, damit ihr Mann Jörg und ihr Sohn Torben wieder miteinander reden? Sie  möchte schreiend davon laufen, wenn sie mit ihren Vermittlungsversuchen an der Kälte Ihres Mannes oder der Sturheit ihres Sohnes abprallt. Wer ist sie eigentlich, dass „ihre beiden Männer“, wie sie zu sagen pflegt, sie so dermaßen ins offene Messer laufen lassen? Und wer sind die beiden eigentlich, dass sie für ihren privaten Machtkampf nicht nur sie, Ute, verschleißen, sondern durch ihr Verhalten auch die Existenz des Betriebes aufs Spiel setzen?

Ratlos ist sie. Und wütend. Richtig stocksauer.

Vor einer Woche hatte Torben die Kälber unter das Schleppdach am Kuhstall gestellt. Der alte Unterstand sollte für eine Remise weichen, die hoch genug ist, dass der Mähdrescher darunter stehen kann. So der Plan von Torben.

Jörg hatte erst eine Weile mit spöttischen Mundwinkel zugeschaut und dann paar Kleinigkeiten kritisiert, was Torben hätte besser machen können.

Dann fragte er: „Und wann stellst du sie wieder zurück?“ Er hatte wohl gedacht, Torben wolle den Unterstand reinigen.

Torben: „Die bleiben hier. Dort soll der Mähdrescher hin.“

Da ist Jörg ausgeflippt und hat rumgeschrien. Geredet hatten sie darüber nicht. Jörg hatte nur mal am Tisch nebenbei gesagt, Torben könne sich ja mal Gedanken machen, wie man die Kälbergesundheit verbessern könnte.

Da hatte Torben zurückgeschrien: „Ist doch scheißegal, was ich mache, ist doch eh immer kacke.“

Jörg: „Anstatt hier die beleidigte Leberwurst zu spielen, solltest du dich lieber etwas anstrengen und die richtigen Dinge tun. Ich habe mir den A*** aufgerissen, um den Betrieb hochzuziehen, und du willst alles umstoßen? Lieber verkauf ich den Betrieb, als dass du ihn vor die Wand fährst!

Torben: „Dann mach doch dein Scheiß alleine! Ich finde auch woanders Arbeit, gute Leute werden händeringend gesucht!“

Und jetzt reden sie seit einer Woche nicht mehr miteinander. Wieder mal. Nach solchen Wortgefechten steht Ute dann verstört daneben. Beim ersten Mal hatte sie Angst, ihr Sohn würde wirklich gehen. Aber irgendwann hat sie erkannt, dass er nicht geht und Jörg ihn nicht rauswirft. Wozu das dann alles? Bluten, damit es so bleibt wie es ist?

Dieser ewige Streit zwischen den beiden. Ihre vergeblichen Versuche, Frieden zwischen ihnen herzustellen. Die Stimmung auf dem Hof. Mitarbeiter, die schnell wieder gehen. Das kostet so viel Kraft, Kraft die an hundert anderen Stellen fehlt. Unerträglich ist das.

Was kann sie nur tun? Lange hält sie das nicht mehr aus.

Wenn ein Streit zwischen Vater und Sohn so weit eskaliert ist, dass Eiszeit herrscht, jeder in seiner Position erstarrt ist und sie nicht mehr miteinander reden, dann ist es wirklich schwierig, mit Hausmitteln weiterzukommen.

Das wichtigste zunächst ist, dass Ute sich schützt, damit sie an dem Streit „ihrer beiden Männer“ nicht selber zu Grunde geht. Wenn ihre Vermittlungsversuche nichts nutzen, wenn Vater und Sohn ihr Engagement nicht würdigen, dann soll sie es unterlassen. So sehr ihr das auch gegen den Strich geht und sie das Verhalten der beiden verurteilt, es macht es um keinen Deut besser, wenn sie daran Schaden nimmt. Im Gegenteil, es könnte sogar sein, dass Utes hartnäckige Vermittlungsversuche die Situation stabilisiert, weil die Männer wissen, dass sie schon aufpasst.

Nimmt ihnen Ute dieses Feigenblatt, fällt die Verantwortung dorthin zurück, wo sie hingehört: Auf Vater und Sohn.

Herzugehen und auf den Gegenüber zu zeigen und zu sagen: „Ich würde ja schon, aber mit dem kann man ja nicht vernünftig reden…!“ ist zu einfach. Man macht es sich damit sehr leicht, wenn man die Verantwortung dem andern zuschiebt. Jeder, der in einen Streit verwickelt ist, hat die Verantwortung seinen Teil dazu beizutragen, diesen Streit bestmöglich zu lösen. Und das völlig unabhängig davon, wer angeblich den Streit begonnen hat. Denn bei Konflikten ist es selten so, dass es einen eindeutigen „Schuldigen“ gibt. Die Situation ist in der Regel komplexer. Derjenige, der eine Spannung zum Ausdruck bringt, muss nicht der Verursacher dieser Spannung sein. Der Tropfen, der ein Fass zum Überlaufen bringt, hat das Fass nicht gefüllt.

Sowohl Jörg als auch Torben übernehmen nicht die Verantwortung für ihre Beziehung. Sie verstecken sich hinter der Schuldzuweisung an den andern und hinter den Rettungsversuchen von Ute.

Ute zieht sich jetzt aus dem Konflikt zurück und kümmert sich zunächst erst mal nur um sich selbst. Das ist nicht egoistisch, sondern klug. Schließlich kann sie ihren Teil der Arbeit und der Verantwortung für das Wohlergehen des Familienbetriebes nur dann leisten, wenn es ihr möglichst gut geht. Deswegen ist es genau richtig, dass sich Ute aus dem Schussfeld zurück zieht.

Und wenn sich die beiden Männer nicht bewegen wollen, dann ist es gut, wenn Ute sich bewegt. Ute tut das, was Jörg und Torben nicht hinbekommen: Sich mal für einen Moment herausziehen, einen Schritt zurücktreten und sich das Ganze wie von oben anzuschauen. Und dann sich fragen: „Was genau müsste passieren, damit es einen spürbaren Schritt besser wird?

Wenn man dasselbe immer wieder tut, kommt auch das heraus, was immer herausgekommen ist. Deswegen ist so wichtig, an wirkungsvollen Stellen etwas deutlich anders zu machen, dann kann Bewegung in eine festgefahrene Situation kommen. Und wenn Ute etwas ändert, dann verändert sich die Situation auch für Jörg und Torben.

Schließlich sollte Ute den beiden sagen, dass sie nicht länger gewillt ist, deren Verhalten zu akzeptieren. Beide müssen sich von sich aus engagieren, um die Situation zu verbessern. Und wenn sie das aus eigenen Kräften und Willen nicht schaffen, dann benötigt es eben einen Spezialisten von außen, der weiß, wie man bei so etwas vorgehen muss. So, wie man bei unbekannten Krankheiten den Tierarzt fragt oder auf dem Feld den Pflanzenbauberater fragt.

„Ja aber, ich würde ja schon, aber ich kann nicht, weil…“

Was man nicht kann, kann man lernen. Man muss es vor allem WOLLEN. Wer auf sein nicht-Können beharrt, der will nicht lernen, es zu können.

Und dann sind wir wieder bei der Verantwortung. Das kann man drehen und wenden, wie man willen: Die Verantwortung für den Streit zwischen Jörg und Torben liegt bei Jörg und Torben. Die Frage wer Schuld an dem Streit hat, hilft nicht weiter. Die einzige wirklich wichtige Frage ist: „Was können wir tun, wir zusammen und jeder einzelne für sich, um wieder miteinander zu reden? Was ist der nächste konkrete Schritt dorthin? Und was hindert mich daran, DIESEN Schritt JETZT zu gehen?

Und dann geht es darum, diesen Schritt zu gehen. Jeder. Beide. Ohne Vorbedingungen.

Hilfreich dabei könnte sein, sich Unterstützung zu holen. Oder sich an Beispielen zu orientieren, wie es gehen könnte. Solche Beispiele und die dazu passenden Erklärungen gibt es in dem Buch Glück und Gelingen im Familienbetrieb, Band 1 „Kommunikation und Konfliktklärung“.

Hier geht es zum Buch

 

Ich wünsche Dir, dass es bei euch nicht so eisig zugeht!

Sei glücklich in Deinem Familienbetrieb,

Peter Jantsch

 

 

 

 

Fotos: Pixabay/Pixabay(adege)

1 Kommentar zu „Eiszeit auf dem Hof!“

  1. Hallo Herr Jantsch

    vielen Dank für dieses Beispiel.
    Mir ergeht es ähnlich. Ich habe in ein kleines Familienunternehmen eingeheiratet. Die Eltern haben der Tochter bereits seit längerem das Unternehmen übergeben, arbeiten teils aber noch aktiv mit. Seit mehreren Jahren bin auch ich in dem Unternehmen beschäftigt. Und immer wieder kommt es zu teils großen Konflikten.
    Eiszeit auf dem Hof – ” Nicht nur in der Landwirtschaft”

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